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Das Medienhaus Laumanns

Gestern, heute, morgen: Wir nehmen Sie zum Jubiläum mit auf eine spannende Reise durch die Verlagsgeschichte, die Abteilungen unseres Hauses und das Leben im Verbreitungsgebiet unserer Zeitung.

„Schmeiß den Schwachsinn raus!“

Im Kulturteil wird um jedes Wort gerungen

Von Andreas Balzer


Wer braucht eigentlich Kritiken? Wer schreibt die überhaupt? Und was macht ein Kulturredakteur sonst so? Fragen, die Sie sich vielleicht auch schon mal gestellt haben. Wir geben ein paar Antworten.


Ich war neu in dem Job, ich sollte ein bisschen was erzählen über das, was ich da eigentlich tue – und ich wurde gegrillt. Zumindest fühlte es sich stellenweise so an, als ich mit Studierenden des Lippstädter Weiterbildungskollegs (heute Hanse-Kolleg) über die Arbeit eines Kulturredakteurs sprach. Die Atmosphäre war keineswegs unfreundlich, es wurde sogar sehr angeregt diskutiert. Aber es gab auch eine unübersehbare Grundskepsis bei meinen Gesprächspartnern.Und wie hätte es auch anders sein können? Schließlich ist es schon reichlich merkwürdig, wenn Leute für lau ins Theater oder ins Konzert gehen, um sich danach auch noch öffentlich darüber auszulassen, wie sie das denn fanden, was sie da gesehen oder gehört haben.


Ich spürte bei meinen Gegenübern den Verdacht einer gewissen Anmaßung. Sie lese Kritiken überhaupt nicht, sagte eine Teilnehmerin. „Warum sollte mich Ihre Meinung interessieren? Sie interessieren sich doch auch nicht für meine!“


Was tatsächlich nicht stimmt. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich Kritiker, die allen Ernstes glauben, sie hätten das letztgültige Urteil zu einem kulturellen Ereignis gesprochen, einen anderen Beruf suchen sollten. Denn eine Kritik ist erst einmal tatsächlich genau das: eine Meinungsäußerung, die sich dem Wettbewerb mit anderen Meinungen stellt. Seien es die anderer Kritiker, die vielleicht zu einer ganz anderen Einschätzung kommen als man selbst. Seien es die des Publikums, das sich möglicherweise über einen Abend wie Bolle amüsiert, den der Kritiker in der Luft zerreißt.


Hat der Kritiker unrecht? Ist er ein übellauniger Besserwisser, der anderen zielstrebig den Spaß verdirbt, wie gerne mal unterstellt wird? Oder weiß das Publikum einfach nicht, was es da guckt und muss eines Besseren belehrt werden?


Die eine Annahme wäre genauso absurd wie die andere. In gewisser Weise ist der Kritiker tatsächlich sogar der Repräsentant des Publikums, derjenige, der schon mal vorkostet oder nachträglich, quasi stellvertretend für die anderen, das beurteilt, was er da erlebt hat.


Was nicht bedeutet, dass er dem Publikum nach dem Mund schreiben darf. Um glaubwürdig zu sein, muss sich der Kritiker schon die Mühe machen, zu einem eigenen Urteil zu kommen. Das kann positiv oder negativ ausfallen, entscheidend ist vor allem, dass es gut begründet ist.


„Hat mir gut gefallen!“ oder „War langweilig!“ reicht beim Plausch unter Freunden, nicht für eine Zeitungskritik. Die sollte eben nicht nur aus dem Bauch heraus kommen, sondern möglichst analytisch vorgehen. Wenn das gelingt, sind es eben nicht nur subjektive Geschmacksurteile, die man anderen aufdrängt. Professionelle Rezensionen sind Diskussions- und Reflexionsangebote in einer offenen Mediengesellschaft. Und das macht sie auch in Zeiten von Social Media, in denen sich grundsätzlich jeder zu allem öffentlich äußern kann, weiterhin relevant.


Es war nicht ganz leicht, meinen Gesprächspartnern das Wesen der Kritik zu vermitteln. Womit ich allerdings überhaupt nicht durchdrang, war die Tatsache, dass das Rezensieren ein sehr wesentlicher, vielleicht auch der schillerndste Aspekt meiner Arbeit ist. Er ist aber durchaus nicht der, der den meisten Raum in Anspruch nimmt. Ein Großteil der Arbeit findet im Hintergrund statt: Themen- und Seitenplanung, Terminvergabe, Absprachen mit freien Mitarbeitern, Redigieren.


Man könnte das alles als langweilige Routine abtun, als unvermeidliches bürokratisches Beiwerk, doch tatsächlich befinden wir uns hier mitten im journalistischen Kerngeschäft. Welches Thema taugt zum Aufmacher, welches lässt man lieber ganz raus? Was sollte nur ganz klein mitgenommen werden, wo muss man noch mal nachhaken? Das sind Fragen, mit denen sich Redakteure tagtäglich beschäftigen. Bei der Kulturseite sind sie auch noch eng mit dem spezifischen Kunst- und Kulturverständnis verbunden.


Denn was fällt überhaupt unter Kultur? Beschränkt man sich auf die traditionellen „schönen Künste“, also Theater, Musik, bildende Kunst und Literatur? Oder haben auch Alltagskultur, historische Themen und gesellschaftliche Debatten Platz im Feuilleton? Legt man den Fokus ganz auf die „Hochkultur“ oder öffnet man sich auch dem Populären, Abseitigen, Nischigen? Das sind Entscheidungen, die ganz maßgeblich das Gesicht einer Kulturseite prägen.


Mein Ansatz war da immer klar. Ich bin selbst stark subkulturell geprägt, und ein Punkkonzert kann grundsätzlich genauso Aufmacher sein wie ein großes Chor- und Orchesterkonzert oder ein Shakespeare-Stück. Graffiti und Comics haben ebenso ihren Platz wie Ausstellungen von documenta-Teilnehmern. Ein gewisser künstlerischer Anspruch ist allerdings Grundvoraussetzung. Ballermann-Stars, deren Mitgröl-Hits nur dazu taugen, den Bierverkauf anzukurbeln, müssen leider draußen bleiben. Sorry, Jungs und Mädels!


Doch kaum weniger entscheidend als das Was ist das Wie. Ein ganz wesentlicher Teil der Arbeit besteht in der Ankündigung von Veranstaltungen aus diesen doch sehr unterschiedlichen Bereichen. Das ist ein wichtiger Service – für die Leser, nicht für die Anbieter!


Jeder Künstler oder Veranstalter, der das Gespräch mit den unvorsichtigen Worten „Wir bräuchten mal ein bisschen Werbung“ einleitet, darf sich auf einen mindestens zehnminütigen Sermon darüber gefasst machen, warum er zwar gerne eine Ankündigung, aber auf keinen Fall Werbung bekommen könne. Denn bei dem Thema verstehen Journalisten keinen Spaß: Unsere Aufgabe ist es nicht, anderen Leuten die Hütte vollzuschreiben.


In der Praxis bedeutet das vor allem, den PR-Floskeln und dem oft unerträglichen Marketing-Geschwurbel, mit denen nicht wenige Pressetexte durchseucht sind, nicht auf den Leim zu gehen. Um nicht missverstanden zu werden: Viele Pressetexte sind sachlich und absolut seriös. Aber es gibt eben auch die anderen. Und sie nehmen zu. Noch die unbedeutendste Kapelle feiert sich inzwischen ohne jede Scham als „einmalig“, „virtuos“ und von der ganzen Welt gefeiert. Da hilft nur strikte Versachlichung und jede Menge Hintergrundrecherche.


„Schmeiß den Schwachsinn raus!“, lautet meine Standardanweisung an Volontäre, die zum ersten Mal mit diesen Münchhausiaden konfrontiert sind. Oft bedeutet das viel Arbeit, von der der Leser gar nichts bemerkt, weil sie komplett im Hintergrund stattfindet. Das ist nicht sehr glamourös, aber kaum weniger wichtig, als sich bei den Kritiken ordentlich ins Zeug zu legen. Wer hier fünfe gerade sein lässt, versündigt sich am Leser, der dafür bezahlt hat, zuverlässig informiert zu werden.


Man darf dabei aber nicht den Blick dafür verlieren, dass es tatsächlich auch sehr viel Großartiges gibt, was da draußen im Angebot ist. Wie großartig es ist, davon erzählen dann auch unsere Kritiken. Denn entgegen unserem Image als notorische Nörgler freuen sich Rezensenten immer, wenn sie etwas Positives zu berichten haben. Und das haben wir dank des sehr vitalen und vielseitigen Kulturlebens in unserer Region sehr oft.