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Das Medienhaus Laumanns

Gestern, heute, morgen: Wir nehmen Sie zum Jubiläum mit auf eine spannende Reise durch die Verlagsgeschichte, die Abteilungen unseres Hauses und das Leben im Verbreitungsgebiet unserer Zeitung.

Wenn die Presse die Presse öffentlich rügt

Schleichwerbung und verletzte Persönlichkeitsrechte: Im Jahr 2022 gingen 1733 Beschwerden beim Presserat ein

Von Eckhard Heienbrok


Das schärfste Schwert ist die öffentliche Rüge. Ob es nun um Sensationsberichterstattung oder verletzte Persönlichkeitsrechte ging, um mangelnde journalistische Sorgfalt oder unzulässige Diskriminierung, um Informantenschutz oder um die Trennung von Werbung und Redaktion: Knapp 50 Mal hat der Deutsche Presserat im vergangenen Jahr eine Beschwerde über einen Artikel in einer Zeitung oder Zeitschrift als begründet angesehen und die Kritik von Leserinnen und Lesern geteilt, dass er eine solche öffentliche – und abzudruckende – Rüge aussprach.


Am Patriot ist dieser Kelch in der bald 67-jährigen Geschichte des Presserats bislang vorübergegangen. Und auch bei den milderen Formen der Presserat-Schelte, der „Missbilligung“ oder dem „Hinweis“, sieht es für unsere Zeitung gut aus. Sonja Volkmann-Schluck, Pressesprecherin des Presserat, hat sich die Beschwerden der vergangenen zehn Jahre angeschaut. Auch hier: Fehlanzeige.


Was ist der Deutsche Presserat?

Beim Deutschen Presserat handelt es sich um ein Organ der „freiwilligen Selbstkontrolle der Printmedien und deren Online-Auftritte in Deutschland“, wie es heißt. Anhand von Beschwerden überprüft er die Einhaltung ethischer Regeln im Journalismus, die im Pressekodex festgehalten sind (s. Infokasten). Zugleich hat der Presserat die Aufgabe, das Ansehen der deutschen Presse zu wahren und gleichzeitig die Pressefreiheit zu schützen. Darüber hinaus tritt er für den ungehinderten Zugang von Journalistinnen und Journalisten zu Nachrichtenquellen ein und sorgt für die Selbstregulierung des Redaktionsdatenschutzes und der Finanzmarktberichterstattung.


Wie viele Beschwerden gehen jährlich beim Presserat ein?

Im vergangenen Jahr verzeichnete die in Berlin ansässige Geschäftsstelle des Deutschen Presserats 1733 Beschwerde-Eingänge. Das waren deutlich weniger als im Jahr 2021, als sich 2556 Leserinnen und Leser an den Presserat gewandt hatten (2020 waren es sogar fast 4100 Beschwerdeführer, im Jahr 2013 waren es dagegen nur 1347 Bürger, die sich an den Presserat wandten). Nach dem Corona-Hoch hat sich die Zahl mittlerweile wieder auf Normalniveau eingependelt. 2022 gingen einerseits weit weniger Eingaben zur Corona-Berichterstattung und weniger Sammelbeschwerden zu einzelnen Artikeln ein als in den Jahren zuvor. Andererseits schlug sich das beherrschende Nachrichtenthema, der Ukraine-Krieg, nur in geringem Maße in den Beschwerdezahlen nieder.


Und wie viele Rügen wurden ausgesprochen?

Die Zahl der Rügen ging ebenfalls zurück: 2022 verhängte der Presserat 47 Mal seine schärfste Sanktion. Im Vorjahr hatte er – trauriger Rekord – noch 60 Rügen erteilt. Zum Vergleich: 2008 waren es nur 18 Rügen. Bis Ende August dieses Jahres wurden schon 43 Rügen ausgesprochen.


Schleichwerbung und Verletzungen des Persönlichkeitsschutzes waren die Hauptgründe für eine Rüge. Dr. Kirsten von Hutten, Sprecherin des Deutschen Presserats und Justiziarin beim Verlag Gruner + Jahr, sagt: „Nach wie vor steht bei den Rügen die Schleichwerbung an erster Stelle. Die Vermischung von werblichen und redaktionellen Inhalten bewerten wir als Presserat besonders streng. Denn wenn die Leserschaft nicht klar erkennen kann, ob ein Text unabhängig geschrieben oder ob er von Werbekunden bezahlt wurde, verliert sie langfristig ihr Vertrauen in die Presse. Vertrauen bindet Leserinnen und Leser. Genauso bedauerlich ist der nach wie vor hohe Anteil an Rügen für Verletzungen des Persönlichkeitsschutzes – etwa, wenn Redaktionen Fotos von Unfallopfern verwenden, ohne vorher die Angehörigen um Erlaubnis zu fragen.“


Welche Berichte wurden gerügt?

Wegen Schleichwerbung rügte der Presserat häufig Veröffentlichungen, in denen Medikamente oder Diätmittel hervorgehoben wurden, ohne dass daran ein öffentliches Interesse, etwa wegen eines Alleinstellungsmerkmals, bestand. Öfters gaben Redaktionen zudem „Gastautorinnen“ und „Gastautoren“ Raum, diese Produkte anzupreisen. Allerdings waren diese laut Presserat „vielfach alles andere als unabhängig“: So stellte eine Mitgründerin eines Online-Versands für alkoholfreie Getränke auf Stern.de verschiedene Sorten alkoholfreien Sekts vor, verbunden mit Links zu den Produkten ausschließlich in ihrem Online-Shop.


Zunehmend gehen beim Presserat auch Beschwerden über Beiträge zum Thema Shopping ein. Die Lippische Landeszeitung etwa berichtete auf Basis eines Gesprächs mit einem regionalen Optiker über die Trends bei Sonnen- und Sportbrillen. Der Presserat sah darin einen Wettbewerbsvorteil für den Optiker, da nur er ohne Alleinstellungsmerkmal in dem Artikel Gelegenheit bekommen hatte, sich darzustellen, obwohl es im Ort mehrere andere Optiker gibt. Diese Hervorhebung hatte, wie es heißt, „werblichen Charakter und wurde deswegen gerügt“.


Und wie steht es um den Opferschutz?

Vom Beschwerdeausschuss gerügt wurde 2022 etwa die Veröffentlichung von Opferfotos nach dem Attentat an einer Grundschule im texanischen Uvalde. Bild.de hatte die Porträts von den Twitter- und Facebook-Accounts der Eltern der getöteten Kinder übernommen, ohne die Angehörigen – wie im Pressekodex vorgeschrieben – um Erlaubnis zu fragen.

Schwere Verstöße gegen den Persönlichkeitsschutz erkannte der Presserat auch in der identifizierenden Berichterstattung über psychisch kranke Menschen. So zeigte der Kölner Stadt-Anzeiger das Foto einer Frau, die bei einer Operettenaufführung mit ihrem Verhalten aufgefallen war. Der Vorfall war zwar von öffentlichem Interesse, die identifizierende Berichterstattung war jedoch nicht gerechtfertigt und wurde gerügt.


In einigen Fällen rügte der Presserat auch die Kombination von Opfer- und Täterfotos. Bei der Berichterstattung über einen Mordprozess zeigte Bild.de beispielsweise ein Familienfoto, auf dem das Gesicht des späteren Opfers unverpixelt und der Tatverdächtige lediglich mit einem Augenbalken versehen war. Opfer und Täter wurden zudem mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen genannt. Da keine Einwilligung der Angehörigen vorlag, verstieß die identifizierende Darstellung gegen den Opferschutz laut Pressekodex. Die Redaktion hätte, so der Presserat, jedoch auch den mutmaßlichen Täter ausreichend anonymisieren müssen. Zwar war davon auszugehen, dass er eine schwere Straftat begangen hatte, es bestanden aber konkrete Anhaltspunkte für seine Schuldunfähigkeit.


Wer steht eher im Fokus: Boulevard- oder Regionalzeitungen?

Regionale Tageszeitungen blieben im vergangenen Jahr laut Mitteilung des Presserats die häufigste Adresse für Beschwerden, gefolgt von Boulevardzeitungen und überregionalen Tageszeitungen. Etwa jede zweite Beschwerde, für die der Presserat zuständig war, richtete sich – ähnlich wie in den Vorjahren – gegen die Zeitung vor Ort. Freilich gingen etwa im Jahr 2021 von 60 Rügen allein 26 aufs „Bild“-Konto.


Welche Maßnahmen kann der Presserat ergreifen?

Da ist zum einen – als gravierendste Reaktion auf einen Verstoß gegen den Pressekodex – die öffentliche Rüge. Sie muss von der Redaktion in einer ihrer nächsten Ausgaben veröffentlicht werden. Zur Veröffentlichungspflicht heißt es im Pressekodex: „Es entspricht fairer Berichterstattung, vom Deutschen Presserat öffentlich ausgesprochene Rügen zu veröffentlichen, insbesondere in den betroffenen Publikationsorganen bzw. Telemedien.“


Gibt es auch nicht-öffentliche Rügen?

Ja, zum Schutz von Betroffenen kann die Rüge auch nicht-öffentlich ausgesprochen werden. Das heißt, auf den (an sich fälligen) Abdruck wird beispielsweise aus Gründen des Opferschutzes verzichtet. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, eine „Missbilligung“ oder einen „Hinweis“ auszusprechen. Eine solche Missbilligung wurde im vergangenen Jahr 63 Mal ausgesprochen, einen Hinweis bekamen 96 Redaktionen.


Kann der Presserat, auch wenn er eine Beschwerde als begründet ansieht, auf eine Maßnahme verzichten?

Ja, durchaus. Das ist etwa dann möglich, wenn die Redaktion den Fall in Ordnung gebracht hat, zum Beispiel durch den Abdruck eines Leserbriefes oder eine redaktionelle Richtigstellung. Im vergangenen Jahr war dies 28 Mal der Fall.


Wofür ist der Presserat zuständig – und wofür nicht?

Der Presserat ist nur für journalistisch-redaktionelle Inhalte von Zeitungen und Zeitschriften sowie von Online-Medien zuständig, die sich bei ihm verpflichtet haben. Für Fernsehen und Radio sowie deren Online-Angebote (Websites, Mediatheken und Social-Media-Accounts) ist er dagegen nicht zuständig. Hier müssen sich Beschwerdeführer an die dafür zuständigen Stellen wenden, also an die Rundfunkräte bzw. Landesmedienanstalten. Für Werbung ist der Deutsche Werberat zuständig. Ferner ist der Presserat auch nicht für Gegendarstellungs- und Schmerzensgeldansprüche zuständig. Wenn man unsicher ist, kann man in der Geschäftsstelle des Presserats nachfragen.


Kann sich jeder beschweren?

Ja. Grundsätzlich hat jeder, ob Privatperson, Verein oder Verband, die Möglichkeit, sich beim Presserat zu beschweren.


Wie muss die Beschwerde aussehen?

Erstens muss sie schriftlich eingereicht werden. Und zwar entweder über das Beschwerdeformular auf der Homepage oder per Post an die Geschäftsstelle. Zweitens darf der Artikel nicht älter als ein Jahr sein, dabei gilt das Datum der Erstveröffentlichung. Bei Beschwerden mit Schwerpunkt auf Verstößen gegen das Datenschutzrecht wird der Zeitpunkt akzeptiert, bei dem der Beschwerdeführer Kenntnis vom (vermeintlichen oder tatsächlichen) Verstoß hat. Drittens muss der komplette Artikel mit eingereicht werden. Im Online-Bereich sind der Link sowie ein Screenshot des Artikels notwendig. Links zu Texten oder Videos hinter einer Paywall, also einer Bezahlschranke, werden nicht akzeptiert.


Was wandert gleich in den Papierkorb?

Allgemeine Presseschelte ohne Bezugnahme auf einen Artikel behandelt der Presserat nicht. Ebenso wenig Beschwerden, die „beleidigend, diffamierend oder drohend gegenüber Redaktionen bzw. deren Autorinnen und Autoren sind“, wie es heißt.


Was passiert mit der Beschwerde?

Zunächst findet eine Vorprüfung durch den Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses und die Geschäftsstelle statt. Falls die Beschwerde offensichtlich nicht gegen den Pressekodex verstößt, zu spät eingereicht wurde oder unbegründet ist, wird dies den Beschwerdeführern schriftlich mitgeteilt. 564 und damit 32 Prozent der insgesamt 1733 Einzelbeschwerden im vergangenen Jahr wurden abgewiesen, weil sie nicht den Anforderungen der Beschwerdeordnung entsprachen.


Ist dies nicht der Fall und wird die Beschwerde als nicht offensichtlich unbegründet eingestuft, wird die betroffene Redaktion um eine Stellungnahme gebeten. Kommt der Beschwerdeausschuss (derer gibt es drei, sie tagen vier Mal im Jahr) bei einer Sitzung zu dem Ergebnis, dass die Zeitung oder Zeitschrift gegen die selbst auferlegten Regeln verstoßen hat und die Beschwerde folglich begründet ist, dann ergreift er eine der genannten Maßnahmen gegen das betroffene Medium – vom Hinweis bis zur öffentlichen Rüge.


Warum nimmt der Presserat keine anonymen Beschwerden an?

Verleger und Journalisten vertreten die Auffassung, dass, wie es heißt, „die Redaktion wissen sollte, wer sich über sie beschwert. Medienethik lebt vom Gespräch. Deshalb wollen wir der jeweiligen Redaktion ermöglichen, die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer direkt zu kontaktieren und in einen Dialog zu treten.“ Selbstverständlich würden die Daten der Beschwerdeführer nur mit ihrem unterschriebenen Einverständnis an die Redaktion weitergeleitet. Man hat also jederzeit die Möglichkeit, die Beschwerde zurückzuziehen, wenn man seinen Namen nicht preisgeben möchte. Man kann auch einen Antrag auf Anonymisierung stellen, wenn man beispielsweise selbst in der Medienbranche tätig ist und persönliche Nachteile von der Beschwerde erwartet.


Kann man eine Entscheidung anfechten?

Grundsätzlich ja. Dazu muss man bis zwei Wochen nach der Entscheidung die Wiederaufnahme beantragen. Allerdings sind neue Gegebenheiten nachzuweisen, die eventuell zu einer anderen Entscheidung führen könnten.

 

 

16 Ziffern als Grundlage
des Journalismus

Grundlage für die Arbeit des Presserats und die Behandlung von Beschwerden gegen bestimmte Artikel ist der Pressekodex. In 16 Ziffern sind dort die Grundsätze journalistischen Handelns festgeschrieben. So heißt es etwa in Ziffer 1: „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“ Im Weiteren geht es um Sorgfaltspflichten, das Diskriminierungsverbot, die Unschuldsvermutung bei Ermittlungs- und Strafverfahren, den Schutz der Ehre sowie die Trennung von Werbung und Redaktion.

1956 gegründet

Am 20. November 1956 gründeten fünf Zeitungsverleger und fünf Journalisten den Deutschen Presserat als Reaktion auf die geplante Einführung eines Bundespressegesetzes. Damit riefen sie eine freiwillige Instanz der publizistischen Selbstkontrolle ins Leben. Vorbild ist der 1953 gegründete British Press Council.

 

Verleger und Journalisten
gleichberechtigt

Basis des Presserats ist ein eingetragener Verein, dem zwei Verleger- und zwei Journalistenorganisationen angehören: Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), Deutscher Journalisten-Verband (DJV), Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in der Gewerkschaft Verdi und der Medienverband der freien Presse (MVFP). Diese Verbände besetzen paritätisch jene Gremien, die sich mit inhaltlich-ethischen Fragen (etwa dem Pressekodex) oder Beschwerden von Lesern befassen. Finanziert wird die Arbeit des Presserats durch Beiträge der vier Verbände sowie Zuschüsse des Bundes.

 

In letzter Dekade:
Drei Beschwerden gegen Patriot-Berichte, aber
„alle drei unbegründet“

Rügen gegen den Patriot hat der Deutsche Presserat nicht ausgesprochen. Aber wie verhält es sich mit Beschwerden? Wie oft wandten sich Leser aus Ärger über die Berichterstattung unserer Zeitung an den Presserat? Und mit welchem Ergebnis?

Die Pressesprecherin des Deutschen Presserats, Sonja Volkmann-Schluck, hat sich die Datenbanken des Presserats für die Jahre 2013 bis 2023 angeschaut. Ergebnis: Es gab drei Beschwerden. Doch „alle drei Beschwerden waren unbegründet, es gab keine Sanktionen“.

Volkmann-Schluck: „2018 haben wir eine Beschwerde als unbegründet erachtet. Es ging um den Artikel ‚Pick up fährt in Teich – Fahrerin leicht verletzt‘. Hier hatte der Reporter Fotos vom Unfallwagen gemacht. Jedoch verletzten die Bilder nicht den Persönlichkeitsschutz der Fahrerin nach Ziffer 8 des Kodex, auch das Rechercheverhalten des Reporters war in Ordnung.

2021 wiesen wir eine Beschwerde bereits im Vorverfahren als offensichtlich unbegründet ab. Ein Leser hatte sich über die Begriffe ‚geimpft‘ und ‚genesen‘ im Zusammenhang mit dem Artikel ‚Corona und das große G‘ beschwert. Er hielt die Begriffe für falsch, der Presserat sah jedoch keine Verletzung der Sorgfaltspflicht.

2022 wiesen wir eine Beschwerde zum Artikel ‚Unfall auf Südstraße: 57-Jährige eingeklemmt und schwer verletzt. Verursacher (19) wohl unter Drogen‘ ebenfalls als offensichtlich unbegründet ab, da das fotografierte Unfallopfer nicht identifizierbar war.“

Ob Beschwerden erst gar nicht angenommen wurden (etwa weil der Presserat gar nicht zuständig war), kann die Sprecherin nicht mehr nachvollziehen, „da wir diese Beschwerden aus Datenschutzgründen recht bald löschen“.